12.09.2026
Chawwerusch Theater „Der zerbrochne Krug“

Der schwarze Tag des Dorfrichters Adam

Chawwerusch Theater bringt seine Version von „Der zerbrochne Krug“ auf die Bühne

Die erste Premiere der neuen Spielzeit des Chawwerusch Theaters steht bevor: Einer der beiden Hausautoren und -regisseure Walter Menzlaw inszeniert den Kleist-Klassiker „Der zerbrochne Krug“ in einer zeitgemäßen „puren“ Inszenierung, die sich auf die zentralen Fragen des Stoffs konzentriert. Drei Schauspieler*innen (Felix S. Felix, Ben Hergl und Lina Zimmer) spielen die komische wie abgründige Geschichte vom schwärzesten Tag des Dorfrichters Adam. Morgens erwacht er mit Kopfschmerzen, seine Perücke ist nicht zu finden und dann muss er sich auch noch durch einen äußerst delikaten Gerichtsfall hangeln, immer unter der strengen Aufsicht der Gerichtsbarkeit aus der Stadt, die gekommen ist, um ihm auf den Zahn zu fühlen.

Witwe Marthe ist außer sich. Bis gestern war ihre kleine Welt noch in Ordnung: Sie lebte mit ihrer bereits verlobten Tochter im eigenen Haus, und ihr Familienerbstück, der Krug, stand unversehrt auf der Fensterbank. Doch plötzlich ist alles aus dem Lot geraten: Ihre Tochter Eve wurde am späten Abend mit ihrem Verlobten Ruprecht im Garten gesehen. Kurz darauf war der Krug zerbrochen – Grund genug für Marthe, vor Gericht zu ziehen. Und was macht der entrüstete Ruprecht? Leugnet das Tete-a-Tete rundheraus, er wäre das nicht gewesen, hätte auch mit dem Krug nichts zu tun und stellt damit gleich mal die Tugend und Ehre der jungen Eve infrage. Der alte Dorfrichter Adam soll alles wiederherstellen: Den rechten Sachverhalt, Genugtuung für den entstandenen Schaden – und nicht zuletzt die Ehre von Tochter Eve.

Es ist eine scheinbar heile Welt, die hier aus den Fugen gerät: Im abgelegenen Dorf galten bislang die überlieferten Regeln der Dorfgerichtsbarkeit. Die immer gleichen alten Rituale und Gepflogenheiten vermittelten Halt und Sicherheit. Doch mit dem seltsamen Verhalten von Dorfrichter Adam, seinem ständigen Vor und Zurück und seinen Versuchen den wahren Sachverhalt im Dunkeln zu belassen, liegt am Ende nicht nur der Krug, sondern auch das Vertrauen in die Gerichtsbarkeit in Scherben. Die drei Spieler*innen lassen in fliegendem Wechsel von Rolle zu Rolle das ganze Dorfgericht mit Anklage, Verteidigung und Gerichtsbarkeit sowie die neugierige Dorfgemeinschaft auf der Bühne entstehen. Die nur angedeuteten Räume werden im Wesentlichen durch Stühle und ein Stehpult definiert (Bühnen- und Kostümbild: Peter Seibel). Die unterschiedliche Beschaffenheit der Stühle, mal mit hoher Lehne, mal breit ausladend mal hölzern-grob, unterstreichen den Status der Personen, die auf ihnen Platz nehmen. Unbesetzte Stühle stehen so auch gleich mal pars pro Toto für eine Figur, die im Moment nicht dargestellt wird. Diese dynamische Inszenierung von Walter Menzlaw sorgt für ein temporeiches, wechselhaftes Bühnengeschehen, das im Gegensatz zum klassischen statischen Gerichtsdrama steht.

Die Konzentration auf das Wesentliche des Stoffes lenkt den Blick auf die Abgründe, die sich im scheinbar idyllischen Dorfleben auftun: Macht wird nicht zum Wohl der Dorfgemeinschaft ausgeübt, sondern im Verborgenen schamlos für eigene Wünsche missbraucht; so wird die Idee einer gerechten Justiz demontiert. Und doch bleibt „Der zerbrochne Krug“ eine Komödie, weil die feingebaute Geschichte und der Kleist‘sche Sprachwitz fortwährend für urkomische Situationen sorgen: Immer tiefer verstrickt sich Richter Adam in seine eigenen Ausflüchte und Lügenkonstrukte. Von Mal zu Mal rechnet das Publikum mit seiner Entlarvung. Doch immer wieder aufs Neue windet er sich mit Autorität und Spitzfindigkeit aus der Schlinge. Bis er am Ende nur noch einen Ausweg sieht und zum letzten Strohhalm greift: „Ich beantrage hiermit, dass das Gericht befugt ist, anzunehmen, dass der Teufel den Krug zerbrochen hat.“